Paulas Rückblick auf das Anita care Wäschegeflüster

Kennst du das?

Du suchst eine Schwangerschaftshose und findest Produktbilder von flachbauchigen Frauen, die natürlich umwerfend aussehen. Glow im Gesicht.

Du hingegen hast fettige Haut, einen schwerfälligen Bauchumfang und sollst dir vorstellen, wie diese Hose an dieser umwerfend jungen, dynamischen Frau die Funktionalität erfüllt, die du dir von dieser Hose wünschst.

Die Wahrheit ist: Natürlich wissen wir nicht, ob diese Frau im Katalog nicht trotzdem schwanger sein könnte, wir kennen ihre Geschichte nicht und wissen nicht, ob dieses kurzgeschossene Bild vielleicht nicht doch mehr mit uns gemeinsam hat, als wir denken.

Ich wische meine fettige Hand an der Hose ab und nehme mir die Bilder für brustoperierte Frauen zur Hand.
Auf diesem Bild stehen Frauen und werben für Prothesen und passender Wäsche.
Eine dieser Frauen bin ich.
Ich zoome, so wie ich es immer tue, und sehe nichts.
Auf den ersten Blick tanzen dort sechs Frauen ausgelassen in Wäsche unter einer Konfettikanone.
Streng genommen kann ich nicht sehen, ob und wie viel Brustkrebserfahrung sie haben.
Ob sie Prothesen tragen, wie ihre Narbenführung ist, ob sie Silikonbrüste haben, abladiert sind oder Teilprothesen tragen.

Darüber musste ich sehr lange nachdenken.

Diese Bilder sind ein Ergebnis eines Events.
Zu sechst wurden wir in den Hauptsitz von Anita nach Brannenburg eingeladen und verbrachten zwei sehr ereignisreiche Tage.
Nach einem herzlichen „hallo“ und einer herzlichen Begrüßung durften wir den Produktionsprozess einer Prothese kennenlernen und wurden durchs Werk geführt.

Im Labor lernten wir, dass das Ursprungsmaterial einer Prothese flüssig ist. Dass Prothesen, so wie wir sie kennen gebacken und in Folie verschweißt werden.
Wir lernten, wie man Prothesen einfärbt, waren überrascht, wie viel Handarbeit, Fingerfertigkeit und Herzlichkeit im Entstehungsprozess in das Endprodukt einfließt und wunderten uns, dass eine Leichtprothese aus mehr Komponenten besteht als eine mit normalem Gewicht.

Danach lernten wir den Entstehungsprozess eines BHs kennen. Besonders die Komponenten, die einen Care-BH zu einem Care-BH machen, worauf geachtet werden muss, und welche Schritte durchlaufen werden, bis ein Entwurf auf dem Papier auf einer Kleiderstange im Geschäft hängt.

Ich fasste mir an die Brust und fühlte zwischendurch immer wieder an meiner Versorgung herum.
Etwas, was sehr pragmatisch im Karton in meinem Sanitätshaus liegt, zu Hause zu meiner Brust wird hat ein kleines „Leben davor“ bekommen. 
Ich freute mich, dass so ein intimes und medizinisches Produkt an diesen Tagen mit kleinen Geschichten und Anekdoten gefüttert wurde, bevor es in meinem BH landete.
 

Ein großes Highlight war unser Besuch im Miss Anita Shop.
Dieser wurde extra für uns geöffnet und exklusiv durften wir die Kleiderauswahl anprobieren, die zuvor für uns und unsere Bedürfnisse ausgesucht wurde.
Außerdem durften wir auch so durch die komplette Auswahl stöbern.
Ab und zu musste ich innehalten: Was für ein Privileg.

Ich hatte noch nie die Gelegenheit gehabt mit anderen Frauen, die abladiert sind so selbstverständlich durch einen Laden laufen und Wäsche anprobieren.
Nicht eine Beraterin zuppelte an meinem Dekolleté - es waren Freundinnen.
Beraterinnen standen natürlich trotzdem zur Seite und hielten hier und da einen Tipp parat, brachten Alternativen, oder zeigten uns ein Sortiment, das sie selbst besser kannten als wir.

Prothesen und BHs sind beratungsintensive Produkte.
Aber irgendwann eignen auch wir uns Kompetenzen an.
Wir wissen, wie sich gute Versorgung anfühlen muss (nämlich so, als wäre sie gar nicht da) und wir fangen irgendwann auch an zu wissen, was wir suchen.
Und so muss sich auch Beratung verändern. Sie ist ein Prozess.
 

Am kommenden Tag durften wir uns in dieser Wäsche fotografieren lassen.
Ich möchte gar nicht so viel vorwegnehmen und euch einladen, das Video zu schauen- aber eins kann ich euch sagen: Wir hatten unglaublich viel Spaß und unbeschwerte Momente.
Als ich anderen erzählte, dass ich Prothetikwäsche shooten würde, sahen sie mich vor dem inneren Auge wahrscheinlich in einem hautfarbenen Mieder auf einem Wartezimmerstuhl posieren.
Stattdessen gab es Pizza, Schnackereien im Bademantel, Lockenwickler auf dem Kopf, Musik und Blödeleien.

Schaue ich mir wieder die Bilder an, sehe ich weiterhin keine Patientinnen in medizinischen Hilfsmitteln.
Ich sehe Frauen- ich sehe Diversität, Vielfalt und eine unglaubliche Lebensfreude.
Aber Brustkrebs sehe ich nicht.

All das bedeutet nicht, dass er nicht da war.
Es bedeutet, dass Narben keine Geschichten erzählen. Dass wir selbst bestimmen können, wann wir unsere Erkrankung sichtbar machen.
Und es bedeutet auch, dass Patientinnen Wäsche präsentieren können, ohne Patientinnen sein zu müssen.

Wenn unsere Körper die Geschichten nicht erzählen, müssen wir es selbst tun.
Und auch das ist etwas, was zum Wäschegeflüster gehört.
Zu erzählen, welche Erfahrung wir in Bezug auf Versorgung gemacht haben.
Zu fordern, dass wir mehr Informationen brauchen, um gute Beratungen zu ergänzen.
Zu entscheiden, was wir wem zeigen und erzählen wollen und uns dort stattfinden lassen, wo wir hingehören:

Überall.
Dieses Wäschegeflüster war nicht leise. Es war unendlich laut- und das ist eine unglaublich schöne Erfahrung gewesen. Wäschegeflüster mit Gebrüll. Weil nicht die Bilder für sich sprechen, sondern auch wir.

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