Verbindungen spüren: Meine Mitgliedschaft im Krebsklub

Im Drogeriemarkt begegnete mir neulich eine Frau. Sie trug Maske und hatte ihre Kappe und eine Maske tief ins Gesicht gezogen. - So als wollte sie sich nicht nur vor Viren, sondern auch doofen Blicken schützen. Aber, ich konnte sie sehen, konnte ihre aschgraue Haut und ihren dünnen Wimpernkranz sehen. Ich konnte sehen, was sie gerade durchmacht. Ich kannte das doch. Genau das! War ich nicht selbst erst im letzten Jahr so durch die Gegend geschlichen? Zaghaft, zögernd und voller Vorsicht vor allem und jedem? War nicht der kleine Weg zum Einkauf und zurück eines meiner Highlights gewesen, an einigen Tagen? Ich tat weiter die Einkäufe in meinen Wagen und lächelte der Frau im Gang mit den Vitaminpräparaten zaghaft zu. Am liebsten hätte ich angesprochen, sie in den Arm genommen. Ich hätte ihr gern gesagt, dass auch das eine Phase ist. Dass es wieder anders – ja hoffentlich besser und heller –- werden wird. Aber ich schaute sie nur an und lächelte und schob dann meinen Wagen auf die Kasse zu. Draußen schluckte ich, was genau spürte ich denn beim Anblick dieser unbekannten Person? Es war ein vertrautes Gefühl, ganz tief in mir. Es war das Gefühl etwas erlebt zu haben, das man niemandem beschreiben kann, die es nicht selbst erlebt hat.
Abofalle
Dieses Gefühl übermannt mich auch immer, wenn ich im Wartezimmer meiner Gynäkologin sitze. Dort spüre ich diese Verbindung ebenfalls. Besonders stark mit all den anderen kahlköpfigen – oder sehr kurzhaarigen Frauen im Wartezimmer. Es fühlt sich an, als ob wir alle einem Club angehörten, dessen Mitgliedschaft wir immer weiter als Abo laufen lassen. Denn keine von uns hat es je rechtzeitig geschafft ihr Abo fristgerecht zu kündigen.
Der Krebsclub
Manchmal nicken wir uns verstohlen zu, während wir auf eine Vorsorgeuntersuchung oder Infusion warten. Wir erkennen uns, lächeln mechanisch. Einige Frauen sitzen mit Ordnern dort, sie sind vielleicht noch am Anfang ihrer Reise. Verstohlen schauen sie auf die kahlen Köpfe, oder blassen Menschen, die etwas erschöpft in ihren Sesseln versinken. Andere Frauen sitzen gerade und stark da. Sie haben längst wieder längere Haare oder tragen ihre Glatzen als Zeichen eines langen Kampfes um ihr Leben. Und doch gehören wir alle, dem gleichen doofen Club an, dem Krebsclub. Einem Verein aus dem es wohl keine Ausstiegsklausel gibt. Viele von uns kennen den Weg in das Infusionszimmer. Sie wissen wo die Wassersprudler stehen oder wo es noch wenig ungelesene Zeitschriften gibt. Einige tragen Blusen mit Knöpfen oder Sanitätshaus-BHs mit Prothesen und großen Ausschnitten. Das erleichtert den Schwestern den Zugang zum Port.
…diese Verbindung
Wir sehen uns an und wir wissen es, auch ohne Worte: Da ist diese Verbindung, dieses unsichtbare Band. Wir spüren es es, wenn der Pinktober-Wind weht oder wir ins Sanitätshaus zur Modenschau der neusten Anita-Care-Wäsche gehen.
Wir sind stark und wir sehen einander an, voller Zuneigung und ohne Scham. Ob im Drogeriemarkt oder im Sanitätshaus, wir können das. Und wir haben die Kraft auch anderen Menschen ein Lächeln zu schenken. Sozusagen ein „Krebsclub Lächeln“ von ganz tief drinnen. Das können sie tragen, an diesen ganz besonderen Tagen, an denen sie es „nur“ in den Drogeriemarkt um die Ecke schaffen.
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